D – Physikalische Gründe

Betrachtet wird dazu ein anfangs geschildertes Beispiel:

Abb. D1 Zugeschneites Fahrrad.

Justins Fahrrad stand die ganze Winternacht (-10oC) draußen. Er stellt fest, dass der Metallrahmen kälter ist als die Gummihandgriffe, zumindest erscheint es ihm so. Haben Metallrahmen und Handgriffe also tatsächlich eine unterschiedliche Temperatur?

Hier muss wieder unterschieden werden zwischen Wärme und Temperatur: Da das Fahrrad die ganze Nacht über draußen stand ist anzunehmen, dass es die Temperatur der Umgebung komplett angenommen hat. Alle seine Teile, egal aus welchem Material, haben also eine Temperatur von -10oC. Aber dennoch besteht der Eindruck bei Justin, die Gummigriffe fühlten sich wärmer an als der Metallrahmen – und die Gefahr, am Metallrahmen festzufrieren ist auch tatsächlich größer als an den gepolsterten Handgriffen.

Entscheidend für sein Empfinden aus Sicht der Physik ist die Menge an Wärme, die auf seine Hand auf- bzw. von ihr wegfließt, wenn er einen Gegenstand berührt. Dafür kann wieder die Gleichung herangezogen werden:

Es kommt also darauf an,

      • um welchen Stoff es sich handelt, d.h. wie viel Wärme er speichern kann
        cStoff: Wasser speichert viel Wärme, Luft deutlich weniger.
      • um wie viel Stoff (Masse) es sich handelt
        mStoff: heißes Wachs speichert auch aufgrund der höheren Masse mehr Wärme als Wachsdampf.
      • wie groß die Differenz von der Temperatur der Hand (THand) zu der des berührten Gegenstands (TGegenstand) ist (ΔT = Delta(T) = THand – TGegenstand).

Im Fall des winterkalten Fahrrads ist der Temperaturunterschied ΔT von Rahmen und Handgriffen zur Hand identisch, da Rahmen und Handgriffe beide die gleiche Temperatur (der Umgebung) angenommen haben. Auch die Wärmekapazitäten unterscheiden sind ein wenig, aber nicht dramatisch. Die Masse m unterscheidet sich, aber der Effekt tritt ja auch auf, wenn nur ein Stück Gummi und ein Stück Stahl in die Hand genommen werden.

Es wird also ein weiterer Kandidat benötigt, um den Unterschied des Temperaturempfindens zu erklären: Die Wärmeleitung. Die Hand berührt die Handgriffe, und Wärme fließt von der wärmeren Hand auf die kälteren Handgriffe über. Das detektiert der Körper über die Haut, und das Gehirn meldet: Das ist kalt. Während diese Information aber noch verarbeitet wird, erwärmt sich der Handgriff bereits an der Berührungsstelle durch die hinüberfließende Wärme. Da die Wärmeleitfähigkeit des Gummis relativ gering ist, wird die Wärme von dort kaum weitertransportiert. Der Handgriff nimmt realtiv schnell die Temperatur der (dadurch leicht abgekühlten) Hand an. Es bleibt die Empfindung, dass der Handgriff etwas kälter ist als die Hand, aber dass dieser Unterschied auch spürbar abnimmt.

Anders beim Metallrahmen. Auch hier fließt Wärme von der Hand an der Berührungsstelle auf den Rahmen über. Da Metall allerdings über eine sehr hohe Wärmeleitfähigkeit verfügt, wird die Wärme von der Berührungsstelle in die weitere Umgebung des Rahmens weitergeleitet. Das Temperaturgefälle zwischen Rahmen und Hand bleibt also relativ groß, sodass fortwährend Wärme von der Hand an den Rahmen abgegeben wird. Der Körper nimmt dies als eine Berührung mit einem sehr kalten Gegenstand wahr.

Festzuhalten ist über das Empfinden von Wärme und Kälte also, dass die Sinneszellen der Haut detektieren, wenn Wärme / Energie an den oder von dem Körper abgegeben wird. Gibt der Körper viel Wärme ab, wird dies als sehr kalt empfunden, nimmt er viel Wärme auf, wird dies als sehr warm empfunden. Dies wird in einem kurzen Exkurs über die physiologischen Hintergründe des Wärmeempfindens näher betrachtet.

D.2 Physiologische Gründe

Mit dem bis hierher erarbeiteten physikalischen Wissen können schon viele Alltagsphänomene erklärt werden. Aber es wäre nicht vollständig, wenn nicht auch das physiologisches Wärmeempfinden mit einbezogen wird, das durchaus fehlerhaft sein kann. Es werden dazu noch kurz drei Aspekte betrachtet:

Das Wärmeempfinden hängt auch ab

    1. vom Temperaturbereich und der persönlichen Erfahrung
    2. vom betroffenen Teil des Körpers und der dort befindlichen Schicht von Sinneszellen
    3. von der direkten thermischen Vorgeschichte.
    1. Unser Temperaturempfinden hängt vom jeweiligen Temperaturbereich ab. Es gibt Temperaturbereiche, in denen wir uns bei einer Temperaturschätzung sicher fühlen und es gibt andere Temperaturbereiche, in denen uns das nicht so gut gelingt. Gute Temperaturbereiche sind zum Beispiel Temperaturen rund um unsere Körpertemperatur. Wir können auf wenige Grad genau sagen, wann uns das Badewasser zu heiß oder zu kalt ist. Wir können Kindern die Hand auf die Stirn legen und auf deutlich weniger als ein Grad genau abschätzen, ob sie Fieber haben oder nicht (vor allem mit ein wenig Übung und Erfahrung). In Bezug auf Luft können wir in einem Raum sehr gut sagen, ob die Temperatur unter oder über 20 oC liegt. Es gibt also Temperaturbereiche und Kontexte, in denen unsere Schätzungen durchaus präzise ausfallen. In anderen liegen wir auch schnell 5K oder mehr daneben.
    2. Unsere Haut ist je nach Körperbereich sehr unterschiedlich sensitiv für Wärme. Das liegt daran, dass wir über Kälte- und Wärmerezeptoren verfügen, die je nach Hautpartie unterschiedlich dicht aneinanderliegen. Im Gesicht und am Handrücken liegend die Punkte beispielsweise relativ dicht. (Für weitere Informationen hierzu ist die Biologie zuständig.)
    3. Das vorangegangene Wärmeempfinden beeinflusst das nachfolgende. Wenn wir also in Winter von draußen kommen, kommt uns schon der Hausflur warm vor. Saßen wir hingegen eine Weile vor dem Kamin, frösteln wir, wenn wir direkt im Anschluss daran über den Flur gehen.

Insgesamt lässt sich festhalten, dass wir über die Rezeptoren der Haut Wärme empfinden und in „warm“ oder „kalt“ unterscheiden, ggf. auch Temperaturen zuordnen können. Die soeben diskutierten Beispiele zeigen aber auch deutlich, dass wir uns auf dieses subjektive Empfinden oft nicht „verlassen“ können und dass objektives Messen von Temperaturen sich mitunter deutlich von unseren subjektiven Einschätzungen unterscheiden kann.


Zusammenfassende Knobelaufgabe

Warum fühlen wir uns wohl in einer Umgebungsluft von ca. 20oC, aber empfinden Wasser von 20oC als kalt? Und warum baden wir umgekehrt ganz entspannt in bis zu 37oC warmen Wasser, aber stöhnen bei einer Lufttemperatur von 37oC es wäre zu heiß (vgl. Abb. D2 und D3)?

Anschlussfrage:

Und warum fühlt sich 40oC warme schwüle Luft noch unerträglicher an, während uns „trockene“ Kälte weniger ausmacht als „normale“?