A – Farben sehen

Für die Wahrnehmung unterschiedlicher Farben sind Rezeptoren auf der Netzhaut verantwortlich. Sie sind in Abbildung A1 (Aufbau menschliches Auge) schematisch aufgezeichnet: Die Rezeptoren der Netzhaut sind dabei in der rechten oberen Ecke vergrößert hervorgehoben.

Abb. A1: Aufbau menschliches Auge.

A.1 Ein erster Überblick

Die Netzhaut besitzt zwei verschiedene Arten von Rezeptoren, die für elektromagnetische Strahlung im Wellenlängenbereich zwischen ca. 400 und 800 nm sensibel sind: die Helligkeitsstäbchen und die Farbzapfen (siehe Abbildung A2 Helligkeitsstäbchen und Farbzapfen).

Abb. A2: Helligkeitsstäbchen und Farbzapfen.

Diese Rezeptoren reagieren jeweils auf Licht in unterschiedlichen Wellenlängenbereichen. In Abbildung A3 ist dies anhand von Empfindlichkeitskurven dargestellt:

Die vier Rezeptoren sind für unterschiedliche Wellenlängenbereiche sensibel. Das bedeutet, sie reagieren auf elektromagnetische Strahlung in diesem Wellenlängenbereich, aber nicht auf solche außerhalb des Bereichs.

Abb. A3: Empfindlichkeit der Lichtrezeptoren.

 

A.2 Die Stäbchen (Helligkeitssehen)

Die gestrichelte Linie in Abb. A3 stellt dabei die Empfindlichkeit der Helligkeitsstäbchen dar. Diese Rezeptoren sind auf das Sehen bei geringer Helligkeit angepasst und detektieren Licht in einem breiten Spektralbereich zwischen ca. 400 und 750 nm.

(Vor allem im Bereich zwischen 600 und 800 nm sind die Stäbchen dabei wenig bis gar nicht sensibel. Das ist auch der Grund, warum rote Kleidung in der Dämmerung keine gute Wahl für die Sichtbarkeit darstellt. Rot erscheint bei geringer Helligkeit als sehr dunkel.)

Da es nur eine Sorte von Stäbchen gibt, können wir mit ihrer Hilfe auch nur Helligkeitsstufen, aber keine Wellenlängen (also Farben) unterscheiden – die Informationen, die die Stäbchen an das Gehirn leiten können, ist nur „Signal detektiert“ oder „kein Signal detektiert“. Daher stimmt auch der Ausspruch: „Bei Nacht sind alle Katzen grau.“

Von den Stäbchen sind auf der Netzhaut viel mehr vorhanden als von den für das Farbsehen verantwortlichen Zapfen. Bei einem gesunden Auge befinden sich ca. 120 Millionen Stäbchen auf der Netzhaut.

(Sind es deutlich weniger, wird auch von „Nachtblindheit“ gesprochen.) Dabei befinden sich die Stäbchen vor allem im äußeren Bereich der Netzhaut. (Dies ist auch der Grund, warum beispielsweise am Nachthimmel die Sterne am Rand des Blickfeldes hell erscheinen – wenn der Kopf gedreht wird, um sie direkt anzuschauen, ihre Helligkeit allerdings wieder abzunehmen scheint.)

A.3 Die Zapfen (Farbsehen)

Mit ca. 6 Millionen Zapfen besitzt die Netzhaut deutlich weniger Farbzapfen als Stäbchen. Die Zapfen sind dabei vor allem in der Mitte der Netzhaut zu finden. Vor allem im Zentrum der Netzhaut („Makula“ oder „Gelber Fleck“) findet sich eine besonders hohe Dichte an Zapfen. Dies wird auch als der „Ort des schärfsten Sehens“ bezeichnet. Die Zapfen sind für das Sehen bei Tageslicht verantwortlich, sie sind weniger sensibel als die Helligkeitsstäbchen. Dafür ist es möglich bei ausreichendem Licht mithilfe der Farbzapfen deutlich schärfer zu sehen als mit den Stäbchen.

Häufig werden die Farbzapfen dabei anhand von Farben benannt. Es wird dann vom „blauen“, „grünen“ und „roten“ Zapfen gesprochen. Das ist einerseits hilfreich für die Aspekte, die im Folgenden besprochen werden, andererseits ist es fachlich aber auch aus mindestens drei Gründen irreführend, bzw. unzutreffend:

    1. Die Benennung führt (auch durch Darstellungen wie in Abbildung A2) bei Lernenden u.U. zur Vorstellung, dass die Zapfen in dieser Farbe eingefärbt wären. Tatsächlich ist ja aber der „blaue Zapfen“ nicht blau, sondern er ist sensibel für den Wellenlängenbereich, die der Farbe „blau“ zugeordnet wird.
    2. Licht ist physikalisch gesehen nicht „blau“ oder „grün“ usw., es besitzt nur eine charakteristische Wellenlänge und Frequenz. Dadurch, dass es drei Arten Rezeptoren auf der Netzhaut gibt, die in unterschiedlichen Wellenlängenbereichen sensibel sind, ist es möglich unterschiedliches Licht voneinander zu unterscheiden. Da Licht um 420 nm also anhand der verschiedenen Zapfen anders wahrgenommen wird als Licht von 560 nm, können diese beiden Wellenlängen voneinander unterscheiden werden und der erste Farbeindruck wird dann „blau“ und der zweite „rot“ genannt.
    3. Der „blaue Zapfen“ detektiert nicht nur Licht der Wellenlänge 420 nm, sondern Licht zwischen ca. 380 und 530 nm, allerdings ist er in diesem Bereich unterschiedlich sensibel und am empfindlichsten um 420 nm. Diese Sensibilitätsbereich überlappen sich bei den drei Rezeptoren außerdem. Dies hat Konsequenzen für die Farbwahrnehmung, die später noch beleuchtet werden sollen.
Abb. A4: S-, M- und L-Farbzapfen mit der jeweiligen Wellenlänge des Absorptionsmaximums.

Es ist darum präziser, die Zapfen nach ihren Wellenlängenbereichen zu benennen, in denen sie empfindlich sind. Es werden daher die Bezeichnungen S-, M- und L-Zapfen verwendet (siehe Abb. A4):

    • S-Zapfen (short wavelength, „blauer“ Bereich): Absorptionsaximum bei 455 nm
    • M-Zapfen (middle wavelength, „grüner“ Bereich): Absorptionsmaximum bei 534 nm
    • L-Zapfen (long wavelength, „roter“ Bereich): Absorptionsmaximum bei 563 nm (Das Maximum liegt hier eigentlich im Bereich „gelb-grün“. Der L-Zapfen übernimmt aber die Hauptleistung der Wahrnehmung im roten Bereich, daher wird er damit bezeichnet.)

A.4 Farbsehen

Warum der Mensch anhand von drei Farbrezeptoren nun Licht im Bereich zwischen 400 und 800 nm so wahrnimmt wie in Abbildung A3 dargestellt, ist gut vorstellbar, wenn zunächst einmal nur von einer Sorte Farbzapfen ausgegangen wird. Würde der Mensch beispielsweise nur über M-Zapfen auf der Netzhaut verfügen, dann ergäbe sich das gleiche „Farbsehen“, wie es in der Dämmerung der Fall ist, wenn nur die Helligkeitsstäbchen angesprochen werden.

Abb. A5: „Farbsehen“ bei Monochromaten.

Eine Sorte Zapfen

Wenn es nur eine Sorte Rezeptoren gibt, dann können diese nur das Signal „hell“ oder „nicht hell“ an das Gehirn weiterleiten. Entsprechend der Empfindlichkeitskurve der Rezeptoren ergäbe sich dann ein Bild des sichtbaren Spektrums wie in Abbildung A5 dargestellt. Dies entspricht dem „Farb“-Sehen bei Monochromaten, also Lebewesen mit nur einer Sorte Farbrezeptoren.

Zwei Sorten Zapfen

Dichromaten hingegen verfügen über zwei verschiedene Farbrezeptoren. Hierzu zählen beispielsweise Hunde. In den Bereichen, in denen sich die Empfindlichkeit der beiden Rezeptoren unterscheidet, können sie die Informationen in zwei verschiedene Farbeindrücke unterscheiden. Dies ist in Abbildung A5 dargestellt.

Es können dem Spektrum nun beispielsweise die Farben „blau“ und „gelb“ zugewiesen und zwischen diesen beiden eine Mischfarbe (hier „weiß“) wahrgenommen werden, wenn beide Rezeptoren auf die Wellenlänge ansprechen.

Abb. A6: Farbsehen bei Dichromaten.

Drei Sorten Zapfen

Menschen zählen hingegen zu den Trichromaten, die über drei Sorten von Farbrezeptoren verfügen. Es ist daher möglich zum einen Wellenlängen als Farben zu unterscheiden, die in Bereichen liegen, die sehr charakteristisch für einen der drei Farbzapfen sind. Für S-Zapfen ist dies im „blauen“ Bereich der kurzen Wellenlängen der Fall, in dem die anderen beiden Zapfen nicht oder zumindest kaum sensibel sind. Im „roten“ Bereich der langen Wellenlängen gilt dies ebenfalls, da hier fast ausschließlich L-Zapfen Licht detektieren. Um 500 nm, im „grünen“ Bereich, sind zwar alle drei Zapfen sensibel, allerdings vor allem M-Zapfen, daher ist auch dies unterscheidbar. In diesen Wellenlängenbereichen spricht also jeweils hauptsächlich einer der drei Farbzapfen an (siehe Abb. A3).

Abb. A7: Farbsehen bei Trichromaten.

Des Weiteren ist es möglich in den Zwischenbereichen zu unterscheiden, wie stark und in welcher Kombination jeweils die Farbzapfen auf die Wellenlänge ansprechen. Unterhalb von 650 nm nimmt beispielsweise die Sensibilität des M-Zapfens langsam zu. Zwischen 585 und 650 nm wird das Licht daher (als Kombination aus Signalen der L- und M-Zapfen) als Orange wahrgenommen, zwischen 575 und 585 nm als Gelb usw.

Grob gesagt wird der gleichzeitigen Ansprache von L- und M-Zapfen der Farbeindruck „Gelb“ und der Ansprache von M- und S- Zapfen die Farbe Cyan (ein kräftiges, helles blau) zugeordnet. Außerdem ergeben sich natürlich sämtliche Farbnuancen, die auf die Wahrnehmbarkeit von über 50.000 Farbtönen führen. Beim Menschen wird das Spektrum wie in Abbildung A7 dargestellt wahrgenommen. – Sofern dieser „normalsichtig“ ist und nicht eine Farbfehlsichtigkeit bei den Augen vorliegt.

Mehr als drei Sorten Zapfen?


Was würde nun geschehen, wenn noch weitere Arten von Farbrezeptoren hinzugefügt werden?


Tatsächlich verfügen Tiere teilweise mehr Arten von Farbrezeptoren als der Mensch. Vögel und Insekten können aufgrund von Farbrezeptoren im Bereich unter 400 nm auch ultraviolettes Licht wahrnehmen, was ihnen beispielsweise beim Auffinden von Blüten hilft (vgl. Abb. A8).

Abb. A8: UV-Strahlung bei einer Blüte.

Gleiches gilt für Tiere, die Strahlung mit Wellenlängen über 800 nm (Infrarot) detektieren können.

Weitere Farbrezeptoren müssen aber nicht notwendigerweise das sichtbare Spektrum erweitern. So verfügt beispielsweise der Fangschreckenkrebs über 12 verschiedene Farbrezeptoren (siehe Abb. A9)! Er kann dadurch auch noch viel mehr Farbnuancen unterscheiden, die für den Menschen nicht zu unterscheiden sind. Es gibt auch Berichte und Untersuchungen zu Menschen, die vier verschiedene Arten von Farbrezeptoren verfügen. Diese werden als Tetrachromaten bezeichnet.

Abb. A9: Fangschreckenkrebs.

kurz & knapp: Netzhaut

Auf der Netzhaut liegen die lichtempfindlichen Rezeptoren. Diese Rezeptoren reagieren, wenn Licht auf sie fällt und leiten diese Information dann über den Sehnerv an das Gehirn weiter. Dort formt das Gehirn aus den vielen Informationen das farbige Bild. Auf der Netzhaut befinden sich Rezeptoren für die Wahrnehmung der Helligkeit und für die unterschiedlichen Farben.

Von den Rezeptoren gibt es zwei unterschiedliche Arten:

      • die (Helligkeits-)Stäbchen
      • die (Farb-)Zapfen (siehe Abbildung A10)
Abb. A10: Zusammenfassung der Farbzapfen.

A.5 Vertiefung: Farbfehlsichtigkeiten

Nicht selten kommt es vor, dass Menschen über nur zwei statt drei Sorten von Farbrezeptoren verfügen. Dies wird als „Farbfehlsichtigkeit (siehe Abbildung A11)“ bezeichnet. Sie kommt vor allem bei Männern vor und wird genetisch vererbt. Es können unterschiedliche Arten von Farbfehlsichtigkeiten unterschieden werden, je nachdem, welcher der drei Farbzapfen fehlt und daher für eine Unterscheidung der Lichtsignale ausfällt. Betrachtet werden im Folgenden drei verschiedene Fälle. Dazu sind hier unterschiedliche Sehtests und Animationen dargestellt. Unter anderem ist ein Ring mit einer Lücke zu erkennen und wie sie für einen entsprechend fehlsichtigen Menschen aussieht (unten).
      • Beim Fehlen der S-Zapfen (sehr selten) = Tritanopie: Hier werden Informationen aus dem „blauen“ Bereich kaum durch die anderen beiden Farbzapfen detektiert.
      • Beim Fehlen der M-Zapfen (häufig für Farbfehlsichtigkeiten verantwortlich) = Deuteranopie: Hier entfällt die Unterscheidbarkeit im grünen bis roten und es entsteht ein Spektrum zwischen blauem und rotem Bereich.
      • Beim Fehlen der L-Zapfen = Protanopie: Hier entfällt ebenfalls die Unterscheidbarkeit im grünen bis roten und es entsteht ein Spektrum zwischen blauem und rotem Bereich. Wellenlängen über 650 nm werden immer schwächer überhaupt wahrgenommen.

        Abb. A11: Farbwahrnehmung bei „Normalsichtigen“ und Farbblinden.

A.6 Die Grenzen der objektiven Betrachtung

Es darf außerdem bei der Betrachtung des Farbsehens nicht übersehen werden, dass sich optische Sinneseindrücke nicht vollständig objektiv-physikalisch klären lassen. Es handelt sich bei der Verarbeitung der Signale im Gehirn nicht um eine rein mechanismusgeleitete Angelegenheit, sondern vielmehr um einen komplexen kognitiven Prozess, in den auch Erfahrungen, die vorangegangenen Sinneseindrücke und die Informationen der Umgebung eingehen. Ähnliches trifft ja auch auf das Temperaturempfinden zu: Kommen wir aus einem kälteren in einen mittelwarmen Raum, so wird uns letzterer wärmer vorkommen, als wenn wir aus einem warmen Raum in den mittelwarmen gewechselt sind. Dies wird näher in Abschnitt D betrachtet.