D – Modelle

Bisher wurden die zentralen Begriffe der elektrischen Spannung und der elektrischen Stromstärke aus physikalischer, sehr abstrakter Sicht betrachtet. Um diese abstrakten Inhalte anschaulicher zu machen, bedient sich die Physik häufig Modellen. Solche Modelle haben für das Verstehen viele Vorteile – aber es ergeben sich auch Nachteile, da Modelle immer nur eine Annäherung an die Realität bedeuten können, und dadurch stets auch Abweichungen von der Realität mit Modellen einhergehen. Daher müssen Modelle auch kritisch betrachtet werden, um ihre Limitierung zu erkennen.

D.1 Analogie Wasserkreislauf

Das mit am häufigsten verwendete Modell zum elektrischen Stromkreis ist das sogenannte Wasser- oder Wasserkreislauf-Modell (Abbildung D1).

Abb. D1: Beispiel des Wasserkreislauf-Modells.

Auf der linken Seite der Abbildung D1 ist ein Stromkreis mit Batterie, Kabeln und Glühlampe zu sehen. Auf der rechten Seite ist dieser Stromkreis in der Analogie der Wasserkreislaufmodells dargestellt. Im Folgenden werden die einzelnen Elemente des realen Stromkreises und des Modells betrachtet. Kursiv hinter den einzelnen Erläuterungen finden sich die wesentlichsten kritischen Bemerkungen zu den Abweichungen zwischen Modell und Realität.

Ladung / Strom

Im elektrischen Stromkreis bewegen sich elektrische Ladungen. Im Fall des kabelgebundenen Stromkreises sind dies die frei beweglichen Elektronen der Metallatome.  Im Wasserkreislauf fließt in Analogie zum elektrischen Strom Wasser. Das Wasser ist also ein Bild für die fließenden Elektronen.

Wesentlich für das Verstehen des elektrischen Stromkreises ist die Tatsache, dass die Elektronen nicht aus der Batterie stammen (keine „Strom-„ oder „Ladungsquelle“), sondern schon zuvor im Kabel vorhanden sind. Je nach Modell des Wasserkreislaufs wird das mehr oder weniger gut im Modell gespiegelt. Hier sollte das Wasser ebenfalls bereits zuvor in den Wasserrohren vorhanden sein und nicht den Eindruck erwecken, aus der Pumpe zu kommen.

Die Elektronen im Kabel sind an die Materie des Metalls gebunden. Sie verbleiben also im Metall / im Stromkreis, auch wenn das Kabel an einer Stelle durchtrennt wird. Wird hingegen das Rohr des Wasserkreislaufmodells durchschnitten, dann fließt an dieser Stelle Wasser aus dem Kreislauf heraus.

Im Modell des Wasserkreislaufs gibt es außerdem keine Besprechung für die beiden Arten (+ und -) elektrischer Ladung.

Batterie

Abb. D2: Batterie als Spannungsquelle.

Die Batterie ist die Spannungsquelle des Stromkreises. In ihr wird eine Ladungsdifferenz zwischen Minus- und Pluspol hervorgerufen, die wiederum ein elektrisches Feld im elektrischen Leiter (Kabel) erzeugt. Durch dieses elektrische Feld werden die frei beweglichen elektrischen Ladungen des Stromkreises (Elektronen) durch das Kabel im Stromkreis beschleunigt. Ein Strom fließt. Im Wasserkreislauf wird das Wasser ebenfalls angetrieben. Dies kann wie in Abbildung D1 rechts dargestellt mit Hilfe einer Pumpe geschehen. Die Pumpe entspricht in diesem Fall der Batterie. Sie pumpt das Wasser auf eine höhere Ebene von der aus es dann aufgrund der potentiellen Energie von selbst die Leitungen entlang nach unten fließt.

Abb. D3: Veranschaulich von Spannung durch Höhendifferenz.

Die Batterie liefert also die für die Bewegung der Elektronen notwendige Spannung, nicht die Elektronen selbst. Dies muss auch auf die Pumpe und die Wasserteilchen klar zutreffen (s.o.). Die Veranschaulichung der elektrischen Spannung als Höhendifferenz kann für manche Lernende sehr hilfreich sein. Allerdings ist auch das Konzept der potentiellen Energie einer höheren Lage ziemlich abstrakt.

Die Batterie induziert ein elektrisches Feld, das sich beinah instantan im elektrischen Leiter ausbreitet. Dadurch setzen sich die Elektronen überall im Stromkreis quasi gleichzeitig in Bewegung. Eine Wasserpumpe verstärkt dagegen eher den Eindruck, als würde die Pumpe (Batterie) von ihrem Ort aus das Wasser / die Elektronen „anschieben“, so dass sie sich nach und nach im gesamten Kreislauf in Bewegung setzen.

Kabel

Die Elektronen im Stromkreis fließen durch das metallene Kabel (Leiter) zum elektrischen Bauteil (Lampe). Den Kabeln entsprechen im Modell die Wasserrohre, durch die das Wasser ebenfalls fließen kann.

 

Abb. D4: Kabel im Wasser-Modell.

Die Kabel des elektrischen Stromkreises sind allerdings nicht wie die Rohre im Modell als hohle Röhren mit fester Hülle zu verstehen. Vielmehr bewegen sich die Elektronen durch das massive Metall der Kabel hindurch. Dies ist möglich, weil die Elektronen so klein sind und in jedem Atom recht viel Platz ist. Die Materie, aus der das Kabel besteht, konstituiert allerdings auch den elektrischen Widerstand, der den Elektronen auf ihrem Weg durch das Kabel entgegensteht.

Elektrisches Gerät / Widerstand

Der elektrische Strom betreibt auf seinem Weg durch den Stromkreis stets ein elektrisches Gerät – sofern nicht ein Kurzschluss vorliegt (Die Pole der Batterie wären dann nur durch ein Kabel verbunden.).

 

Abb. D5: Elektrischer Widerstand im Wasser-Modell.

Ein solches Gerät wird oft auch als „Verbraucher“ bezeichnet. Dies ist allerdings fachlich nicht korrekt, da weder Elektronen noch Energie verbraucht werden können. Ein solches Gerät ist vielmehr ein „Energiewandler“, der elektrische Energie in eine andere Form (Wärme, Licht, magnetische Wirkung (und weiter in Bewegung) und chemische Wirkung) umwandelt. Im Fall der Lampe wird elektrische Energie in Wärme und Lichtenergie umgewandelt. Innerhalb der Lampe müssen die Elektronen den sehr dünnen Draht des Glühwendels passieren. Dabei stoßen sie mit den Atomrümpfen der Metallionen zusammen. Auf diese Weise übertragen sie einen Teil ihrer Bewegungsenergie auf die Metallionen, die ihrerseits zu schwingen beginnen. Eine solche Schwingungsbewegung von Teilchen führt zu einer höheren mittleren Bewegung der Teilchen – die ein Maß für die Temperatur des Materials ist. Der dünne Draht erwärmt sich. Die Erwärmung ist dabei so stark, dass es sogar zu glühen und somit zu leuchten beginnt.

Im Modell treibt das fließende Wasser ebenfalls ein Bauteil an, das in der Regel als ein kleines Wasserrad dargestellt ist.

Während im elektrischen Stromkreis die Spannung „über den einzelnen Bauteilen“ (auch Kabel und Schalter) und insbesondere über den Geräten „abfällt“, erweckt das Modell des Wasserkreislaufs oft das Gefühl, dass die Spannung (als Höhendifferenz) schon über der beidseitigen Zuleitung zum Wasserrad abnimmt.

Abb. D6: Zusammenfassende Darstellung eines einfachen Stromkreises.

Spannung

In der Batterie des elektrischen Stromkreises wird die Spannung durch eine Ladungsdifferenz hervorgerufen. An einem Pol (Minuspol) sind mehr negative Ladungen vorhanden als an dem anderen (Pluspol). Dadurch entsteht zwischen beiden eine elektrische Spannung, die die Elektronen im Stromkreis antreibt, wenn der Stromkreis geschlossen wird.

Der elektrischen Spannung entspricht im Wassermodell die Höhendifferenz oder auch der Wasserdruck. Durch den Wasserdruck wird das Wasser in Bewegung versetzt und es bewegt sich durch die Leitung. Wird die Leitung an einer Stelle unterbrochen, fließt das Wasser durch den Druck trotzdem – es fließt an der beschädigten Stelle aus dem Wasserkreis heraus.

Der Druck ist an sich schon ein schwieriges Konzept und ist daher oftmals als Analogie für die ebenfalls komplexe Größe der elektrischen Spannung wenig hilfreich.

Abb. D7: Einfacher Stromkreis im Wassermodell.

Kurz & knapp:

Zusammenfassend hier noch einmal die Kritik am Modell:

  • Ladungen sind überall im Leiter vorhanden und nicht nur im „Reservoir“ eines oberen Beckens.
  • Der Stromfluss beginnt nicht am oberen Reservoir / Pol und fließt zum unteren, sondern setzt sich überall gleichzeitig in Bewegung (treibende Kraft ist das elektrische Feld, das sich mit Lichtgeschwindigkeit ausbreitet)
  • Ladung kann nicht durch ein Leck hinausfließen, das Wasser schon.
  • Für Wasser gibt es keine Analogie zu + und – der Ladung.
  • Zur Analogie der Spannung über Bauteilen muss der (komplexe) Begriff des (Wasser-)Drucks eingeführt werden.

D.2 Analogie Fahrradkette

Ein weiteres, etwas weniger bekanntes Modell für den elektrischen Stromkreis ist die Fahrradkette (siehe Abbildung D8).

Abb. D8: Fahrradketten-Modell.

In diesem Modell stellen die Fahrradkette, die Fußpedale und das Zahnrad des Rades die Analogien für die Bauteile des elektrischen Stromkreises dar.

Ladung / Strom: Die Kettenglieder stellen die Ladungen dar. Im bewegten Zustand steht die Kette für den elektrischen Stromfluss.

Der Vorteil dieses Modells besteht darin, dass wie beim Stromfluss die Kette sich nur in Bewegung setzt, wenn sie geschlossen ist. Außerdem setzen sich alle Teile der Kette sofort und gleichzeitig in Bewegung. Es wird an diesem Modell also klar, dass die Elektronen / Kettenglieder nicht aus der Batterie / Fußpedale in den Stromkreis eingespeist werden, sondern dass sie schon zuvor im Stromkreis / der Kette vorhanden sind.

Spannung / Batterie: Die elektrische Spannung wird in diesem Modell durch die Fußpedale dargestellt.

Hierdurch wird klar, dass Energie (im Fall der Batterie chemische Energie) benötigt wird, um den Stromfluss in Gang zu bringen. Weniger hilfreich in der Übertragung des Modells auf den Stromkreis kann sich allerdings die direkte Bewegung zwischen Fußpedal und Kette auf das Verstehen auswirken. In dieser direkten Form werden die Elektronen natürlich nicht von der Batterie angetrieben.

Elektrische Geräte / Widerstand: Der elektrische Widerstand vor allem des in den Stromkreis eingebauten Gerätes wird in der Abbildung D8 durch das Zahnrad des Rades dargestellt.

Es ist leicht vorstellbar, dass für die Bewegung des (Zahn-)Rads Energie aufgebracht werden muss. Ein wenig widersprüchlich mag dabei erscheinen, dass bei einem Fahrrad darauf geachtet werden muss, dass sich dieses Rad gerade sehr leichtläufig dreht. Die Übertragung des Modells allerdings erfordert es sich vorzustellen, dass das Drehen des Rades nicht so leicht funktioniert, da ansonsten auch der Widerstand vernachlässigbar wäre.

D.3 Rucksack- oder Mimik-Modelle

Als drittes wird noch ein Modell betrachtet, das den sogenannten „Rucksack-“ oder „Mimik-Modellen“ zugeordnet werden kann. In diesen Modellen laufen kleine Figuren im Kreis, deren Rucksäcke an einer Stelle gefüllt und an anderer / anderen wieder entladen werden oder Gesichter unterschiedlich schauen.

Ladungen / Strom: Die kleinen Männchen in Abbildung unten stellen die Ladungen im Stromkreis dar. Sie bewegen sich entlang einer vorgezeichneten Bahn (Kabel) als Strom den (Strom-)Kreis entlang.

Abb. D9: Mimik-Modell eines Stromkreises.

Die Ladungen als Männchen / Figuren darzustellen macht es besonders anschaulich, aber weckt natürlich gleichzeitig allerhand anthropomorphe Assoziationen, die viel weniger hilfreich sind. Ein wesentliches Problem solcher Anthropomorphismen ist die Überinterpretation des absichtvollen Handelns. In diesem Fall wird dann schnell davon gesprochen, dass die Männchen müde sind / durch das Kabel hindurch wollen / sich besonders am Pluspol wohlfühlen usw. Ein solches absichtsvolles Handeln unterliegt der Bewegung von Elektronen natürlich nicht.

Batterie / Spannung: Die Batterie wird in diesem Modell meist durch einen kleinen Tunnel dargestellt, durch den die Figuren / Elektronen hindurchlaufen. In diesem Tunnel werden sie mit Energie „aufgeladen“, d.h. ihr Rucksack wird wieder neu gefüllt. (Meist hellen sich dadurch in der Abbildung auch ihre Gesichter auf und die Haltung wird von erschlafft wieder aufgerichtet.)

Diese Analogie ist physikalisch sehr zweifelhaft. Die Elektronen werden weder mit Energiepaketen beladen noch geschieht dies direkt in der Batterie. Vielmehr steckt die Energie im elektrischen Feld, das die Elektronen durch den Stromkreis beschleunigt. Auf ihrem Weg durch das Feld nimmt also die (kinetische) Energie der Elektronen zu. Stoßen die Elektronen mit Teilchen in Kabel und Bauteilen zusammen, geben sie einen Teil dieser Energie wieder ab – das Material gerät in Schwingung und erwärmt sich.

Weitere Modelle finden Sie hier:https://www.leifiphysik.de/elektrizitaetslehre/einfache-stromkreise/grundwissen/stromkreismodelle